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»Jetzt gibt es was
auf die Ohren«

natürlich HAMM Winter 2022 – Seite 5

Rubrik: Titelthemen

Autorin: Lukas Rummeny

Wie wir Hören und was Musik bei uns auslöst

Die Ohren tragen einen großen Teil zur Entwicklung eines Menschen bei. Über die auditive Wahrnehmung lernen wir, wie wir uns ausdrücken können, wodurch das Hören entscheidend ist für unsere Kommunikation. Welchen besonderen Stellenwert das Gehör für unser Wohlbefinden hat, merken wir, wenn Musik ins Spiel kommt. Wie funktioniert aber unser Gehör genau? Was kann es alles? Und wieso sind wir so empfänglich für Musik?

Die Ohren zählen nicht zu unseren lebenswichtigen Organen. Die Zahlen sind im Vergleich auch eher wenig beeindruckend: Lediglich 400.000 Töne kann der Mensch unterscheiden. Der Umfang von 16 bis 20.000 Hertz ist auch nicht sonderlich groß im Vergleich zu anderen Lebewesen auf der Erde. Wir dürfen aber nie vergessen, dass die Ohren, wie die anderen Sinnesorgane, die ganze Zeit im Einsatz sind, weswegen sich ein genauerer Blick in die Tonwahrnehmung lohnt.

Unsere Ohren sind in drei Bereiche aufgeteilt. Das Außen-, das Mittel- und das Innenohr. Das Außenohr ist der Teil des Ohres, der bei einer Untersuchung eingesehen werden kann. Seine Aufgabe liegt in der Schallaufnahme. Die Schallwellen gelangen dabei über die Ohrmuschel und den Gehörgang zum Trommelfell und bringen es zum Schwingen. Hinter dem Trommelfell befindet sich das Mittelohr. Hier sind mit Hammer, Amboss und Steigbügel die kleinsten Knochen im menschlichen Körper. Ihre Namen entsprechen ihrer Funktion. Der Hammer nimmt die Schwingungen des Trommelfells auf und haut auf den Amboss. Der Amboss leitet diese Schläge weiter an den Steigbügel, der Druck auf die Gehörschnecke auslöst. Diese zieht sich zusammen oder dehnt sich aus, ganz nach Form des Druckes. In der Schnecke befindet sich eine Flüssigkeit die dadurch in Bewegung gesetzt wird. Es ist wie mit einer Wasserbombe, deren Flüssigkeit, je nach Druckausübung mit den Händen, auch die Position ändert. Unten, an der Innenseite der Schnecke befinden sich kleine Härchen, die von der Wellenbewegung der Flüssigkeit selbst in Bewegung gesetzt werden. Diese Bewegung geben die Härchen an die Synapsen weiter, wo dann der elektrische Impuls entsteht, der zum Gehirn geleitet wird. Dort entsteht dann der Ton, der einst als Schallwelle auf das Außenohr gestoßen ist.

Mehr als nur Hören

Es sieht aus wie ein langer Weg, bis wir den Ton wahrnehmen. Bei der Menge an auditiven Eindrücken, die wir den ganzen Tag aufnehmen, ist das eine große Leistung, die in einer enormen Geschwindigkeit vollbracht wird.

Die Aufnahme, Wahrnehmung und Zuordnung von Geräuschen, die unser Ohr verarbeiten, müssten das Organ doch bereits auslasten, oder? Mitnichten, denn unser Gehör verfügt über ganz besondere Funktionen, die Sie alle bei sich bestimmt schon wahrgenommen haben. Einer davon ist der sog. „Cocktail-Effekt“.

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich mit einer Gruppe von Menschen im Gespräch. Ebenso stehen andere Menschengruppen zusammen und reden ebenfalls. Die Gespräche sorgen für die allgemeine Geräuschkulisse, die wir unbewusst wahrnehmen und der wir deswegen keine besondere Bedeutung zusprechen. Wir konzentrieren uns auf das Gespräch in unserer Gruppe. Es ist eine Situation, wie sie etwa auf einer Cocktail-Party entsteht. Aus der Stimmenkulisse hören wir auf einmal unseren Namen heraus und drehen uns um, um die Quelle des Gesagten ausfindig zu machen. Aus der Menge an Wörtern und Geräuschen, haben wir besonders eines herausgefiltert und schenken ihm unsere ganze Aufmerksamkeit. Das wird als „Cocktail-Effekt“ bezeichnet.

Was sich nach einer Zufälligkeit anhört, war vor Millionen von Jahren überlebenswichtig für die Menschen. Damals war die Beschaffung von Fleisch, die Jagd, immer mit einer großen Lebensgefahr verbunden. Denn der Mensch war selbst potentielle Nahrung für wilde Tiere. Es galt für die Jäger also nicht nur zu hören, wo sich die Beute, sondern auch die Gefahr befand. Dabei war das Herausfiltern von Geräuschen von entscheidender Bedeutung.

Wissen, wo wir sind

Eine wichtige Rolle spielt das Gehör auch bei der Orientierung. Am deutlichsten ist das bei Menschen mit Sehbehinderung zu erkennen. Reicht das Visuelle nicht aus, übernimmt das Auditive wichtige Orientierungsaufgaben. Erkennbar ist das für andere Menschen an den Stöcken, die Sehbehinderte verwenden. Am unteren Ende ist eine Art Kugel, die ein wenig locker am Stock hängt. Wird sie über den Boden geführt, macht sie Geräusche, wodurch die Menschen erkennen, ob sich vor oder neben ihnen noch der Bürgersteig, der Asphalt der Straße oder die Kante vom Bahn- oder Bussteig befindet. Dadurch ermitteln sie ihre eigene Position und erkennen den Weg. Aufgrund dieser Möglichkeit, meinen manche Menschen, dass Sinnesorgane „geschärft“ werden, wenn eines ausfällt. Das stimmt so nicht ganz. Menschen, die kein Problem mit dem Sehen haben, fällt weniger auf, wie sehr die Ohren bei der Orientierung helfen.

Es beginnt mit der Tatsache, dass wir zwei Ohren haben. Diese sorgen nicht nur für die volle Funktion unseres Gehörs, sondern teilen uns auch mit, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Wie etwa beim „Cocktail-Effekt“, bei dem wir uns auch gezielt in eine Richtung drehen, aus der wir das entsprechende Geräusch gehört haben.

Wir erlangen über die Ohren wichtige Informationen, die uns bei der Orientierung helfen. So verraten uns Motorengeräusche, die erst lauter und dann leiser werden, dass wir uns in der Nähe einer Straße befinden oder das Plätschern von Wasser, dass ein Bachlauf in der Nähe sein muss – und das alles, bevor unsere Augen etwas erblickt haben. Wichtige Informationen, die uns nicht nur einen ungefähren Standort verraten, sondern unserem Gehirn auch mitteilen, wohin wir uns weiterhin bewegen sollten, bzw. auf was wir achten müssten, wenn wir uns in Richtung der Geräuschquelle bewegen.

Haben wir Probleme mit dem Gehör, fehlen uns diese wichtigen Informationen. Es gibt viele Betroffene die mit Beginn ihrer Hörprobleme auch von Problemen bei der Orientierung berichten. Unterschiedliche Untersuchungen haben festgestellt, dass die auditiven Informationen elementar wichtig sind für das „Orientierungs-Subsystem“.

Wenn es mit dem Hören nicht klappt

Der Mensch kann bereits im Mutterleib Schallwellen als Töne wahrnehmen. Dass sich diese Sinneswahrnehmung so früh entwickelt, beweist wie wichtig ein funktionierendes Gehör für seine Entwicklung ist. So spielt das Gehörte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Sprechfähigkeit. In der Zeit vom dritten Lebensmonat bis zum zehnten Lebensjahr entwickelt sich das Gehör auch weiter und verbessert die Aufnahmefähigkeit des Kindes.

Tatsächlich haben Kinder mit Hörstörungen häufig Probleme beim Spracherwerb. Deswegen wird bei Neugeborenen ein Neugeborenen-Hörscreening unternommen. Diese Untersuchung findet in den ersten zwei bis vier Lebenstagen statt, ist schmerzfrei und wird durchgeführt, während der Säugling schläft. Das Screening fokussiert sich auf die Funktionsfähigkeit des Innenohrs und den Zustand der äußeren Haarzellen. Sind Letztere etwa beschädigt, kann diese Beschädigung eine Vielzahl an Hörprobleme verursachen. Gibt es bei der Untersuchung des Innenohrs Auffälligkeiten, werden die Tests wiederholt. Sollten die Ergebnisse dann ebenfalls auffällig sein, wird eine nachfolgende Untersuchung beim HNO- oder Kinderarzt vereinbart. Das Screening gehört mittlerweile zum Standard der Säuglingsuntersuchungen. Die meisten Krankenversicherungen übernehmen die Kosten dafür auch.

Eine frühe Beschwerdeerkennung kann etwa bei einer Taubheit über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. So kann eine prälinguale Taubheit, also eine Taubheit, die vor dem Spracherwerb aufgetreten ist, bei einer frühen, erfolgreichen Behandlung, zu einem normalen Erlernen der Sprache führen. Geschieht die Behandlung nicht oder zu spät, hat die Person häufig Probleme mit der Sprache. Tritt eine Taubheit erst nach dem Spracherwerb, also postlingual, ein, so bleibt die Sprechfähigkeit unberührt.

Ein weiterer Aspekt ist die Schwerhörigkeit im Alter. Niemand ist vor Hörbeschwerden oder Taubheit geschützt. So sollte ein Facharzt aufgesucht werden, wenn häufiger und in längeren Phasen Ohrgeräusche, wie Tinnitus auftreten. Dann können die Beschwerden Symptome für Probleme mit dem Gehör sein.

Eine weiterer wichtiger Punkt für das Gehör ist das Alter. Wie bei allen körperlichen Funktionen, nimmt auch die Hörleistung mit zunehmender Lebenszeit ab. So nehmen ältere Menschen nur noch Töne in einer Frequenz bis 5.000 Hertz war, im Vergleich zu den 20.000 zum Lebensbeginn. Auch die etwas spätere Reaktion auf Gesagtes muss kein Hinweis auf Schwerhörigkeit im Alter sein. Es ist bei vielen ein Anzeichen von Lebenserfahrung, wie ein Forschungsteam der Universität Maryland hat vor einigen Jahren festgestellt hat. Sie haben bei Gesprächen die Hörfähigkeit älterer Menschen mit der Gehirnaktivität verglichen. Viele der Probanden Wenn die Aufnahmefähigkeit des Ohres im Alter nachlässt, verbinden die Menschen das Verstandene, im Kopf, zu Sinnzusammenhängen, die das Nicht-Verstandene ausglichen und kaschierten somit die niedrigere Hörleistung.

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Was jeden erreicht

Die frühe Entwicklung des Gehörs sorgt auch dafür, dass der Mensch für Musik empfänglich ist. Der Magie der kunstvollen Zusammensetzung von Tönen kann sich niemand entziehen. Über die Ohren erreicht sie umgehend die emotionalen Bereiche des Gehirns. Von Freude und dem Bedürfnis, sich nach ihr zu bewegen, bis zur Ablehnung, kann Musik jedes Empfinden auslösen. Es ist die einzige Kunstform, für die wir alle empfänglich sind.

Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass wir mit Musik auch unterschiedliche Stimmungen verbinden. Komponisten setzen etwa bewusst Moll-Tonarten ein, um eine dunkle, melancholische Stimmung zu erwecken. Schreiben Sie Musik in Dur, klingt alles hell und freundlich. Eine ganz besondere Wirkung hat auch die Filmmusik, da wir mit den entsprechenden Melodien auch gewisse Szenen verbinden und auch Erwartungen schüren.

Über das Gehirn hat Musik aber auch Auswirkungen auf den ganzen Körper. Von der Herzfrequenz und dem Blutdruck, bis hin zur Atmung und Muskelentspannung, beeinflusst Musik auch die Körperpartien, die weniger mit dem Hören zu tun haben. Es ist auch festgestellt worden, dass durch einen gezielten Einsatz von Musik, Schmerzen gelindert werden können.

Der Grund dafür liegt in der neuronalen Neuordnung des Gehirns, die Musik auslöst. Nehmen wir Tonabfolgen wahr, versuchen wir im Kopf diese einzuordnen. Erkennen wir ein Motiv, wie in der Filmmusik oder entstehen neue Höreindrücke, arbeitet unser Gehirn auf Hochtouren.

Diese Wirkung von Musik auf das Gehirn macht sich auch die Medizin zu Nutze. So wird Musik gezielt eingesetzt, wenn eine Neustrukturierung des Gehirns, in der Fachsprache Neuroplastizität, erreicht werden soll. Dieser Vorgang sorgt für eine Neustrukturierung durch das Entfernen alter oder kranker Hirnzellen zugunsten von Neuen, die für neue Verbindungen sorgen. In der Behandlung von Schlaganfällen und Hirntumoren wird daher häufig Musik eingesetzt, um die Regeneration des Gehirns zu fördern.

Diese Neuordnung im Gehirn wird verstärkt, wenn zu der Musik noch auslösende Bewegungen kommen, wie beim Musizieren. Die Koordination von Bewegungsabfolgen mit dem Ziel, eine Melodie zu spielen, die den Vorstellungen im Kopf entspricht, sorgt für eine höhere Anzahl von synaptischen Neuverbindungen. Das Musizieren das Gehirn fördert haben zahlreiche Studien bewiesen, die Musikern ein deutlich leistungsstärkeres Hirn attestiert haben als Nicht-Musikern.

Wird darüber hinaus gemeinsam musiziert, also je nach Richtung in Bands, Big Bands, Orchestern o. ä., steigt die Empathiefähigkeit des Menschen. Es wird auf die Mitmusizierenden geachtet. Hält man das Tempo? Kommen die anderen mit? Stimmt die Tonlage von allen? – diese und ähnliche Fragen stellt sich der Musiker, wenn er mit Gleichgesinnten arbeitet.

Hören ist einer der ersten Sinneswahrnehmungen, die der Mensch beherrscht. Das Gehör ist aber in seiner Funktion als Sinnesorgan soviel mehr und sorgt letzten Endes auch dafür, dass unser Gehirn fit bleibt. Achten wir also darauf, was wir hören und was uns in Zukunft auf die Ohren kommt.

WER HÖRT WIE GUT?

  • Hund 15 bis 50.000 Hertz
  • Mensch 16 bis 20.000 Hertz
  • Igel 220 bis 60.000 Hertz
  • Katze 60 bis 65.000 Hertz
  • Delfin 150 bis 150.000 Hertz
  • Fledermaus 1.000 bis 120.000 Hertz