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»Ohne Training geht es nicht«

natürlich HAMM Winter 2021 – Seite 9

Rubrik: Titelthemen

Autor: Lukas Rummeny

Sie sind jeden Tag fast rund um die Uhr immer im Einsatz und trotzdem schenken wir ihnen zu spät unsere Beachtung. Muskeln und Gelenke sorgen dafür, dass wir alle Bewegungen des Alltags bewältigen können. Aber erst, wenn wir Schmerzen haben, beschäftigen wir uns genauer mit ihnen. Wir klären auf, was es mit den Muskeln und Gelenken im Körper auf sich hat, und haben dazu mit Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln gesprochen.

Ein paar Fakten zu Beginn: Ein erwachsener Mensch hat 656 Muskeln und über hundert Gelenke. Über 40 Prozent unseres Körper­gewichts machen Muskeln aus. Bei den Muskeln handelt es sich aber nicht ausschließlich um jene, die mithilfe von Sehnen mit den Knochen verbunden sind. Das sind die sog. „willkürlichen“ Muskeln, die bewusst gesteuert werden. Ent­sprechend gibt es auch die „unwillkürlichen“ Muskeln. Ihre Tätigkeit beachten wir meist nicht, da sie einerseits rund um die Uhr aktiv sind und sich andererseits in unseren Organen befinden. So sind etwa die Augenmuskeln über hundert­tausendmal am Tag aktiv. Eine Mischform aus willkürlichen und unwillkürlichen Muskeln ist der Herzmuskel, den wir durch die Atmung ­teilweise steuern können.

Gelenke sind die Verbindungsstücke zwischen zwei Knochen. Der glatte Knorpel, der die Gelenkflächen umhüllt, sorgt für die Gleitfähigkeit. Wie bei den Muskeln gibt es auch bei den Gelenken zwei Hauptgruppen. Die bindegewebigen oder knöchernen Gelenke sind nicht oder nur kaum beweglich. Knochennähte im Schädel und das Becken sind prominente ­Beispiele dafür.

Die „echten“, also beweglichen Gelenke sind die elementaren Bestandteile unseres Bewegungsapparats. Sie sind, je nach Einsatzort, unterschiedlich groß. Da sie sich nicht nur in der Größe, sondern auch in der Bewegungsrichtung unterscheiden, werden sie noch einmal in Untergruppen unterteilt.

Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse ist Dozent an der Deutschen Sporthochschule und Leiter des Instituts für Bewegungstherapie, bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation und des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung. Er arbeitet in der Forschung mit vielen Athletinnen und Athleten zusammen und tritt in der Öffentlichkeit auch als Experte und Buchautor zum Thema Gesundheit auf. Im Interview erzählt er uns, wie wir unsere Kraft in Muskeln und Gelenke lange erhalten und auf was wir im Winter achten müssen.

Herr Prof. Froböse, Sie beschäftigen sich an der Sporthochschule Köln u. a. mit bewegungs­orientierter Prävention. Welche Muskel- und Gelenkbeschwerden werden besonders durch falsche Bewegungen verursacht?

Bewegungen sind nur dann falsch, wenn die Voraussetzungen für diese Bewegungen nicht gegeben sind. Das heißt, dass man die Bewegungskontrolle nicht besitzt, die Bewegungstechnik nicht beherrscht oder es zu einer Überforderung kommt, weil die Belastung zu hoch für den Organismus ist. Probleme können sich dann unter anderem in gereizten Sehnen, überforderten Muskeln, entzündeten Gelenken oder verspanntem Gewebe zeigen.

Wie lassen sich die „falschen“ Alltagsbewegungen vermeiden?

Das Wichtigste ist, dass Bewegungen gelernt werden, indem man sie häufig ausführt und gleichzeitig dadurch seine körperlichen Fähigkeiten verbessert, sodass dann während der Ausführung der Bewegung keine Probleme mehr auftreten. 

Mit der Winterzeit beginnt auch die Heizsaison. Wie viel Wärme ist förderlich für Muskeln und Gelenke und wann wird es kritisch?

Muskeln lieben Wärme und das bedeutet, dass man sie vor allen Dingen vor Verkühlung schützen muss, ansonsten droht der Hexenschuss. Und dementsprechend heißt das, dass wir uns vor Belastungen immer aufwärmen sollten, damit die Bewegung nicht zu einem Problem für den Körper wird. 

Womit tue ich meinem Bewegungsapparat im Winter am ehesten einen Gefallen?

Egal ob Winter oder Sommer, das Bewegungssystem des Körpers liebt Bewegung und hasst stilles Herumsitzen. Daher ist es wichtig, jede Bewegung, auch im Herbst und im Winter, zu genießen und vor allen Dingen auch viele Bewegungspunkte im Alltag zu sammeln. Denn nur dadurch werden die Gelenke ernährt, die Muskeln warm gehalten und der Kopf besser durchblutet.

Im Frühling und Sommer locken Sonnenschein und warme Temperaturen viele Menschen nach draußen. Sie fangen dann wieder an zu laufen, Rad zu fahren, sich anderweitig sportlich zu betätigen und ihre Muskulatur und Knochenstruktur zu stärken. Im Herbst und Winter sieht es ganz anders aus. Haben Sie als ehemaliger ­Spitzenathlet Tipps, wie die Vorteile, die man sich in den warmen Monaten antrainiert hat, auch im Winter gehalten werden können?

Gerade auch im Herbst und Winter sollte man nicht aufhören, körperlich aktiv zu sein. Dabei hilft es, auch den Alltag als Trainingsstätte zu erkennen. Das bedeutet, dass jede Bewegungseinheit, auch im Winter, etwa in Form eines Spazierganges, hilft, die Ausdauer des Körpers zu erhalten. Dabei sollte der Spaziergang am besten in der Mittagszeit mit einem schnellen Schritt erfolgen. Ganz besonders wichtig in dieser Zeit ist das Training der Muskulatur. Dazu bietet es sich an, entweder das Treppenhaus als Trainingsstätte zu nutzen und damit die Beinmuskulatur zu trainieren oder sich auch zu Hause auf dem Teppich einen Übungsplan zusammenzustellen, um alle großen Muskelgruppen des Körpers regelmäßig zu stärken. Besonders für die Fitness bieten sich die Studios an, da man dort in der Regel gut betreut wird.

Viele Menschen setzen mit zunehmendem Alter auf Kraftsport zum möglichsten Erhalt der Muskel- und Gelenkfunktionen. Auf was gilt es dabei speziell zu achten?

Je älter man wird, umso wichtiger wird es, die Kraft und das Volumen der Muskeln zu erhalten. Und da Muskeln ein Leben lang leistungsfähig und trainierbar sind, empfiehlt es sich, alle 656 Muskeln regelmäßig zu bearbeiten und zu trainieren. Muskeln sollte man dabei in die Länge ziehen, also dehnen, und gleichzeitig regelmäßig durch gezieltes Training kräftigen. Dabei müssen Muskeln brennen, damit sie wachsen, was bedeutet, dass die Belastung so gewählt werden muss, dass man nach jeder Übung das Gefühl der Erschöpfung hat. Und hier gilt es insbesondere die großen Muskelgruppen wie Waden, Oberschenkel (Vorder- und Rückseite), Bauch, Rücken und Schultermuskulatur zu trainieren. 

Was raten Sie Menschen, für die Kraftsport nicht unbedingt geeignet ist, wie sie die Leistungs­fähigkeit von Muskeln und Gelenken möglichst lange erhalten?

Leider geht der Erhalt der Muskulatur nicht ohne Anstrengung! Nur wenn Muskeln gebraucht werden, werden Gelenke ernährt und optimal versorgt. Die Muskelkraft bleibt dadurch erhalten. Dazu ist es nicht dringend nötig, ins Fitnessstudio zu gehen. Solange man noch Anfänger ist, reicht das eigene Körper­gewicht zur Belastung aus. Ohne Training geht es also nicht, denn Muskeln kann man genauso wenig kaufen wie die Gesundheit der Gelenke. Wir alle sind dafür selber verantwortlich.

Zum Abschluss: Mit welchen Übungen kann ich Zu Hause, ohne auf Fitnessgeräte zurückgreifen zu können, meine Muskeln, Gelenke und ­Knochen gut unterstützen?

Da wir möglichst alle Muskeln trainieren wollen, gehen wir von unten nach oben und fangen bei den Waden an. Gehen Sie in den Zehenstand und dann wieder langsam zurück auf die Ferse. Wiederholen sie diese Übung 15-mal. Bei Unsicherheit an Stuhl oder Wand festhalten.

Machen wir weiter mit dem Training der Oberschenkelmuskulatur und des Gesäßes: Hier ­bietet sich die klassische Kniebeuge an. Das Gesäß wird langsam zum Boden abgesenkt und die Kniegelenke werden maximal 90 Grad gebeugt. Dann drückt man sich langsam wieder nach oben. 10–12 Wiederholungen.

Zum Training der Bauch- und Rückenmuskulatur setzen Sie sich vorne auf die Kante eines Stuhles und neigen den Oberkörper langsam nach vorne bis kurz vor Erreichen des Oberschenkels. Dann richten Sie sich langsam wieder auf und neigen den Oberkörper weit nach hinten, so lange, wie Sie es muskulär halten können. Diese langsame Pendelbewegung führen Sie 10-mal aus, ohne dabei die Atmung zu vergessen. Zum Abschluss trainieren wir Oberarme und Schultern: Sie sitzen in einem Stuhl mit Armlehnen und drücken sich mit den ­Händen auf den Armlehnen liegend hoch aus dem Stuhl und senken ganz langsam den ­Körper wieder ab. Auch dies wiederholen Sie 10- bis 12-mal.

Kurzvita Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse

Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse ist Dozent an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er leitet das dortige Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Reha­bilitation und das Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung. Zudem ist er ­wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH (IQPR GmbH).

Sein Studium der Sportwissenschaft, mit dem Schwerpunkt Rehabilitation, schloss es 1983 mit Diplom ab. Zusätzlich studierte Froböse Wirtschaftswissenschaften an der Fernuni­versität Hagen.

Während seines Studiums war Froböse Leistungssprinter auf nationaler und internationaler Ebene. So wurde er mehrfach deutscher Vizemeister auf 100 m und 200 m. Über die letztere Distanz wurde er deutscher Hochschulmeister. 1982 erreichte Ingo Froböse den vierten Platz bei den Halleneuropameisterschaften in Mailand. Seine Bestzeiten ­liegen bei 10,40 Sekunden (100 m) und 21,08 Sekunden (200 m).

Ingo Froböse ist Autor und Co-Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Gesundheit und Ernährung. Zudem ist er häufig sportmedizinischer Experte für die Magazine Stern, Brigitte, Fit for Fun, Men’s Health und GQ. Er ist regelmäßig Gast bei den TV-Sendern n-tv und ARD sowie auf der Online-Videoplattform YouTube.