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Bob Blume im Interview: „Ich muss den Lehrplan ignorieren, um ein guter Lehrer zu sein.“

Der Lehrerblog von Bob Blume ist 2022 bei der Preisverleihung „die goldenen Blogger“ als Blog des Jahres ausgezeichnet worden. Gerade hat er ein kontroverses Buch veröffentlicht unter dem Titel „Zehn Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können“.

18.10.2022

Im Interview im Themenheft „Junge Lehrkräfte & Berufseinstieg“ geht es u.a. um sein Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können“. Darin verknüpft er gekonnt seine Alltagserfahrungen mit Gedanken zum grundsätzlichen System. Darin stecken viele gute Ideen, die die Debatte um die Lehrerausbildung in unserem Themenheft Junge Lehrkräfte und Berufsanfänger bereichert.

Das 16-seitige Themenheft der Wilke-Mediengruppe greift Trends und Themen zu einem Schwerpunkt auf. Es ergänzt vier mal jährlich die Mitgliederzeitschriften von zehn Lehrerverbänden um ein übergreifende Thema und liefert hochwertigen Inhalt für die Leserschaft. Es erscheint in einer Auflage von 30.000 Exemplaren und ist daher in der Vermarktung ein  attraktives Produkt. Lesen Sie hier das komplette Interview mit Bob Blume.

Sie sind Blogger des Jahres 2022 und Buchautor. In welcher Welt bewegen Sie sich lieber?

Schwierige Frage. Ich schätze es sehr, mich mit jungen Menschen auszutauschen. Die Orientierung an vermeintlich unverrückbaren Dingen nervt mich aber häufig in der analogen Welt. In der digitalen Welt schätze ich die Kreativität und Flexibilität. Ich sehe mich daher als Brückenbauer, kombiniere hoffentlich das Beste aus beiden Welten miteinander.

Heißen Sie wirklich Bob Blume?

Meine Eltern haben mich immer Bob genannt – sie waren inspiriert von Bob Marley. Bob war mein Ruf- und mein Taufname. Auf der Geburtsurkunde musste ich ihn aber irgendwann ändern lassen.

Das Referendariat ist für viele die Schlimmste Zeit Ihres Lebens, schreiben Sie. Sind das wahre Beispiele in Ihrem Buch, dass Referendare wegen Nichtigkeiten durchfallen?

Ja, das sind leider wahre Beispiele. Ich war selbst im Ausbildungspersonalrat und kenne daher einige Geschichten von Prüfungen. Das Problem liegt darin, dass es zwar Definitionen von gutem Unterricht gibt. Wenn aber nicht klar ist, welches die Königsmerkmale sind, kann es in der Prüfung schon richtig schief gehen. Ein Beispiel: Bei mir im Referendariat war es in einer Besuchsstunde so, dass ich sehr zufrieden war, mein eigener Seminarleiter auch, nur die externe Prüferin hat nicht verstanden, was ich gemacht habe und mich schlecht benotet.

Was muss sich unbedingt ändern?

Die Intransparenz und die Möglichkeit der Willkür der Prüfer ist fatal. Und der Fokus der Ausbildung liegt falsch. Schulrealität ist, dass ich etwa mit Eltern sprechen möchte, dass ich mit den Schülern sprechen möchte, darüber wie es ihnen geht, einfach aus dem Bauch heraus. Gespräche mit Eltern oder Schülerinnen und Schüler lassen sich aber nicht prüfen. Für die Ausbildung der Referendare ist das daher nicht relevant. Im Ergebnis sind Referendare so auf Perfektion in der Unterrichtssituation getrimmt, dass sie kein Teil der Schulgemeinschaft sein können.

Ihr Engagement haben Sie im Referendariat aber offenbar nicht verlernt. Woran denken Sie mit Grausen und woran mit Freude zurück?

Endlich unterrichten zu können war geil. Ja, ich habe übertrieben, ich habe beispielsweise mit der ganzen Klasse aus dem Werk Emilia Galotti ein Theaterstück gemacht. Die Schüler haben mir irgendwann gesagt, „wir schaffen das nicht“. Ich habe gesagt, „doch das geht“ und sie motiviert, weiter zu machen. Ein Junge, der eine Hauptrolle hatte, gestand mir „ich schäme mich, mein Vater kommt“. Ich habe ihn überredet, weiter zu machen. Hinterher war sein Vater sehr stolz auf ihn. Ich bin schon für Schülerorientierung, aber manchmal muss man eben einen Berg erklimmen.

An das Seminar habe ich schlimme Erinnerungen. Der Vergleich mit den anderen hat mich sehr unter Druck gesetzt. Ein Kollege hat beispielsweise einmal ein ganzes Wochenende damit verbracht, eine Guillotine zu bauen für den Einstieg einer Besuchsstunde. Was sollte ich denn dann machen?, hab ich mich gefragt.

Es muss sich lohnen, ein engagierter Lehrer zu sein, schreiben Sie. Wie sind Ihre Erfahrungen damit, ungewohnte Wege einzuschlagen?

Ich habe beispielsweise mal mit Schülern über einen Roman getwittert. Oder zum Thema Erörterung habe ich eine Gegenrede zu Fridays for future aus einer facebook-Gruppe verwendet. Diese und andere ungewöhnliche Wege haben zu 99 Prozent Anklang gefunden. Ich habe aber auch immer dafür gesorgt, dass die gesellschaftliche Relevanz klar war.

Für mehr Praxisnähe in der Lehrerausbildung und zur Behebung des Personalmangels wird jetzt unter anderem ein duales Studium vorgeschlagen. Was halten Sie davon?

Ich bin gespalten. Grundsätzlich halte ich das für eine tolle Idee. Eine Orientierung an mehr Praxis ist absolut notwendig. Gut finde ich, wenn man an den Unis mehr Wert auf die Darstellung der Inhalte legt als aktuell. Die Inhalte der Ausbildung sollten aber frei wählbar bleiben. Ich habe häufig erlebt, dass ich gedacht habe, so etwas brauche ich nicht wieder, und dann hat es mir irgendwann doch geholfen.

In der Corona-Pandemie konnten sich Lehrkräfte auf weniger Inhalte konzentrieren als die, die normalerweise in den Lehrplänen stehen. Sie sagen, dass sollte immer so sein, die Lehrpläne seien überlastet. Was würden Sie als Erstes streichen?

Das ist ein Missverständnis. Es geht mir nicht darum, dass manche Dinge in den Lehrplänen weniger relevant sind. Wir haben einfach nur zu wenig Zeit. Ich muss im Grunde den Lehrplan ignorieren, um ein guter Lehrer zu sein. Als Lehrkraft ist man so immer damit beschäftigt, was man nicht macht, das macht stetig ein schlechtes Gewissen. Daran zerbrechen Kollegen. 

In einer solchen Stimmung schlägt aktuell Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor, dass Teilzeit-Kräfte eine Stunde mehr arbeiten müssen. Das ist skandalös. Daraus entwickelt sich ein Teufelskreis, wenn die Lehrkräfte, die im System sind, noch mehr arbeiten müssen, weil es zu wenige Lehrkräfte gibt.

Apropos Inhalte streichen: In Ihrem Buch sind stereotype Verfechter eines Bildungskanons sowie eines völlig freien Lernens sehr treffend beschrieben. Sie rechnen sich keiner Gruppe zu. Wie finden wir den Mittelweg?

Fest steht, dass wir eine Grundlage brauchen. Aber Weltwissen können wir auch nicht vermitteln. Es müssen also Prioritäten gesetzt werden. Damit meine ich nicht, dass man den Fokus nur noch auf Nützlichkeit setzt.

Aktuell lehrt man in ganz vielen Fächern viele Inhalte, aber nur oberflächlich. Der Effekt ist nicht gut. Also müssen wir uns fragen, ob es wichtiger ist, dass wir den Kanon abfrühstücken oder wollen wir, dass die Schülerinnen und Schüler nach der Schule mit Freude weiterlernen? Ein Beispiel: Ich wünsche mir, dass meine Schülerinnen und Schüler  als Erwachsene in der Buchhandlung Lust auf Gedichte haben, anstatt dass sie jedes einzelne Detail einer Gedichtanalyse wiedergeben können.

Eine Fee in der Schulverwaltung setzt Sie als Schulleiter ein und gibt Ihnen drei Wünsche frei. Wie gestalten Sie Ihre Schule?

Ich wäre ein unbequemer Schulleiter. Ich glaube Schulentwicklung braucht eine Vision. Derjenige, der die Vision nicht teilt, sollte die Schule verlassen. Ich würde Freiraum schaffen und dafür mit Leitlinien und Zielen arbeiten.

Die Verwaltung würde ich runterschrauben, Soziales und Pädagogik in den Mittelpunkt stellen. Dafür brauche ich Deputatsstunden.

Damit meine Lehrkräfte genug Freiraum haben für Pädagogik, brauche ich ausreichend Personal für die anderen Aufgaben wie IT-Administratoren, Sekretärinnen etc.

Denken Sie an Ihre eigene Schulzeit zurück. Gab es eine Lehrkraft, die Sie beeindruckt hat?

Mein Klassenlehrer, weil er eine positive Autorität war. Er war nahbar, nicht dogmatisch und empathisch. Ich erinnere mich an einen Satz aus dem Zeugnis der 1. Klasse „Bob neigt dazu, die Wörter auf die Goldwaage zu legen“. Das stimmte damals ebenso wie heute.

Was hätten Sie gerne in der Schule gelernt?

Ich mag nicht diese zurzeit sehr populäre Klage, xy habe ich in der Schule gelernt und das hat mich kein bisschen weitergebracht. Ich habe natürlich in meiner Waldorfschule viel gelernt, was ich heute nicht mehr brauche. Kupferschmieden, Häkeln etc. Was ich bedauere, ist, dass wir lange keinen Physiklehrer hatten. Ich hätte gerne mehr über Naturwissenschaften gelernt.

Die Fragen stellte Nina Braun

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